KÜNSTLERRESIDENZ und KLANGKUNSTAUSSTELLUNG - TARANTO/BERLIN 2013/2014
Correnti Seduttive (Verführerische Strömungen) ist ein Projekt im Bereich Sound, Performance und interaktive Kunst
im urbanen Raum von Taranto (Tarent) unter Beteiligung einer Gruppe international renommierter,
in Berlin lebender Künstler: Der Fieldrecordist und Pionier des "Sonic Journalism" Peter Cusack; der Produzent, Kurator und bildende Künstler
Wendelin Büchler;
die in Tarent geborene Klangkünstlerin, Sängerin und Performerin Alessandra Eramo - Initiatorin des Projekts;
der Klangkünstler, bildende Künstler und Komponist Georg Klein; die Klangkünstlerin, Performerin und Videokünstlerin Steffi Weismann.
Im Herbst 2013 haben die Berliner Künstler, auf Einladung der Stadt Taranto und des Goethe-Instituts, an einem Künstlerresidenzprogramm im Castello Aragonese/Taranto
teilgenommen. Die Klangkünstler näherten sich der Stadt mit dem Blick von außen, gewannen Inspirationen und vielfältige Eindrücke, um diese anschließend in eine Anthropologie des Klangs umzusetzen.
Von 1.-4. März 2014 wurden die Arbeiten in einer Ausstellung im Palazzo Galeota und im Öffentlichen Raum in Taranto gezeigt.
Die in Taranto geborene Künstlerin Alessandra Eramo initiierte das Projekt, organisierte die Kooperation mit Taranto, stellte die Gruppe von Künstlern zusammen und damit die Ausstellung auf die Beine. Es geht in der Ausstellung darum, die Dychotomie von Schönheit und extremer Gefahr in Taranto zu thematisieren.
"Der Ort und das Forschungsobjekt ist Tarent, Perle des Ionischen Meeres und der Magna Grecia, Hauptstadt der europäischen Stahlindustrie,
NATO Stützpunkt und heute ein Ort sozialer Spannungen, Emigration, Umweltkatastrophen und Krankheit in Westeuropa.
Mit Beginn der, im Juli 2012 durch die Staatsanwältin Patrizia Todisco angeordneten teilweisen Schließung und Beschlagnahmung des
Unternehmens brach sofort das Dilemma zwischen Gesundheit und Arbeit aus: Die Mehrheit der Bürger Tarents bricht zum ersten Mal
den Kreis aus Schweigen und Verheimlichungen und nimmt in einem Klima nahe am Bürgerkrieg an Demonstrationen und Mahnwachen teil.
Sie werden sich ihrer Rechte bewusst die ihnen bis jetzt im Namen des Profits und des Wachstums verweigert wurden.
Wie in der starren Struktur der antiken Tragödie zeigt dieses schmerzhafte Dilemma, in welches Tarent gewaltsam getrieben wurde,
einen dramatischen Punkt ohne Wiederkehr: Tarent ist heute das klare Symbol eines europäischen kapitalistischen Modells geworden
dessen Grenzen in ganz Europa deutlich sichtbar werden. Der folgende Media-Boom internationaler Fernsehsender und Zeitungen
ging für die Tarentiner mit radikalen Veränderungen der Wahrnehmung ihrer Existenz und ihres Lebensumfeldes einher.
Und genau diese Veränderungen sind es, die heute mit großer Sensibilität beobachtet und bewertet werden müssen,
da sie wichtige Zeugnisse des letzten Streifens der westlichen Gesellschaft sind, die sich zu Rollen entwickeln,
die heute noch unbekannt sind.
Künstler haben seit jeher die grundlegende Aufgabe als Lautsprecher ihrer Zeit zu agieren.
Und wer, wenn nicht die Künstler können die Tabus, die Träume, die Schönheit, die Hoffnungen ihrer eigenen Gesellschaft beobachten
und davon künden indem sie sie in Kunstwerke transformieren?
Tarent ist als Szenario verführerisch dank seines einzigartigen Lichts, dank des kristallklaren Meeres und seiner harmonischen Küste.
Aber auch wegen seiner Industriearchitektur und der Mauern des Marinestützpunkts, die sich durch die Stadt ziehen, aufgrund der Verwüstungen
der umliegenden Landschaft und der Vernachlässigung und Ungepflegtheit, welcher ein Gebiet mit über 2000 Jahre Geschichte,
diese Wiege der westlichen Kultur anheim gefallen ist.
Tarent ist ein Ort von großer Schönheit und zugleich extremer Gefahr. Es ist diese Dichotomie,
die es zu einem so besonderen Ort macht.
Wie stellt sich heute die menschliche und klangliche Landschaft von Tarent dar?
Welche Aspekte und Funktionen können in der Dichotomie Schönheit / Gefahr durch direkte Beobachtung und Feldforschung erfasst werden?"
(...) "Eine Strömung, sei sie politischer, künstlerischer Natur oder aus dem Bereich der Mode birgt immer die Gefahr,
sich von ihr verführen zu lassen und ihr zu folgen ohne nach dem Warum zu fragen.
Der Glaube an ein unaufhörliches Wirtschaftswachstum und ökonomischen Fortschritt welcher
die wahren Bedürfnisse der Menschen aus den Augen verliert ist eine solche Strömung:
Das "Mar Piccolo" von Taranto wird von Süßwasserströmungen durchzogen, welche die dortige Muschelzucht
bekannt gemacht haben und somit ein Grund für den Wohlstand der Region waren. Im Laufe der Zeit wurden diese natürlichen
Strömungen jedoch der Strömung der Industrialisierung geopfert und heute ist weder von der Einen noch von der Anderen
ein nennenswerter Rest übrig.
Eine künstlerische Auseinandersetzung mit dieser Situation in Taranto ist überfällig und Correnti Seduttive will
zusammen mit den Menschen vor Ort seinen Beitrag dazu leisten."
- Alessandra Eramo -
Durch die künstlerischen Interventionen erlebt Taranto eine weitere Transformation, denn im Gegensatz zu kurzlebigen und sensationsheischenden Berichterstattungen, von welchen Taranto in den letzten zwei Jahren überrollt wurde,
greift dieses internationale Kunstprojekt den Willen der Tarantiner nach Veränderung und aufrichtigem Interesse auf und schafft nicht nur
ein kulturell einzigartiges Projekt zwischen Taranto und Berlin, sondern kooperiert auf lokaler Ebene mit Protagonisten des Kulturlebens wie "Le Sciaje" und "The Howlers Taranto".
Protagonisten, welche sich um die Wiederaneignung der einzigartigen Altstadt und vieler schöner aber brachliegender Orte in Taranto kümmern.
INTERAKTIVE KLANGKUNST-AUSSTELLUNG IM URBANEN RAUM VON TARANTO
UNIVERSITÄTS-SYMPOSIUM "Resonanzen Berlin/Taranto. Welche Interaktionen, welche Folgen":
Um das Programm zu bereichern, fand am Montag, 3. März 2014 das Symposium "Resonanzen Berlin/Taranto. Welche Interaktionen, welche Folgen" an der Universität von Bari" Aldo Moro" - Außenstelle Taranto c/o ex Caserma Rossaroll, Chiesetta San Francesco statt. Ziel des Symposiums war es, eine Reflexion über das Verhältnis zwischen Künstler und Klängen industrialisierter Orte und über die Interaktionen der Künstler mit den Kulturvereinen in der Stadt anzubieten.Mit Beiträgen von:
Peter Cusack: "Klänge von gefährlichen Orten", Vortrag
Alessandra Eramo:
"ROARS_BANGS_BOOMS. Musica futurista: Die Kunst der Geräusche. Von Luigi Russolos Manifest zu heutigen industriellen Klanglandschaften" Vortrag/Performance
Silvia Naccarati (Kunsthistorikerin), Angelo Cannata (Kulturverein Le Sciaje) und die Künstler von "Correnti Seduttive":
"Mögliche Interaktionen zwischen Kunst und urbanem Raum", Vortrag mit anschließender Debatte