CORRENTI SEDUTTIVE
Aufbau der Ausstellung und Eröffnung, 1. März 2014
"Parole d'Amore"
"Parole d'Onore"
"Parole di Dolore"
Liebe, Ehre und Schmerz, so die Schlüsselworte der drei Klangkompositionen kann als Quintessenz der Seele Tarantos gesehen werden.
"Parole d'Amore" begleitet eine Mischung aus Hochzeit und religiöser Prozession in der Altstadt (Taranto Vecchia).
Unterbrochen von Liebesbekundungen der Tarantiner an ihre Stadt. Stammelnd, verzweifelt, sarkastisch fällt die Selbstbeschreibung der Bürger von Taranto aus.
"Parole d'Onore" arbeitet mit immer wiederkehrenden Sprachfragmenten aus TV Berichten über die Umweltkatastrophe,
die in ihren Wiederholungen und Austauschbarkeit die Problematiken beschreiben, letztenendes jedoch leer und ineffizient bleiben.
Sie platzen wie Schüsse in eine unwirklich, fast idyllische Aufnahme von Grillen inmitten der Stadt.
"Parole di Dolore" basiert auf einem, 2006 geschriebenen Gedicht Alessandra Eramos welches die verhängnisvolle Rolle der Stahlindustrie thematisiert.
Field Recordings der industriellen Klanglandschaft sowie der Militärflotte begleiten den düsteren Text.
12 Reportagezeichnungen von Alltagssituationen, entstanden während der Residency in Taranto (Herbst 2013) stehen der Klanginstallation gegenüber.
In ihrer scheinbaren Lautlosigkeit schreien sie an gegen das Verschwinden einer Gesellschaftsform,
welches in den 1960er Jahren durch die Industrialisierung Süditaliens eingeleitet wurde, in den 1990er Jahren die scheinbare
alternativlose Notwendigkeit der Modernisierung darstellte und das heute von Vielen als das erkannt wird was es ist - Eine große Tragödie.
Auf Postkarten gedruckt kommentieren die Zeichnungen die, auf die Zukunft gerichteten Hoffnungen der Tarantiner und die Schwierigkeit
eine kulturelle, touristische Alternative in der Stadt zu etablieren.
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PETER CUSACK: Paesaggio Sonoro di Taranto
Klanginstallation, Fotografien
"ILVA Day, ILVA Night"
"Mar Piccolo: Unterwasser Knacken und Knistern"
"Wie spät ist es?"
"Hund und Absenkung"
"Grillen, Schüsse, Echo"
"Città Vecchia Kontraste"
"Paesaggi sonori di Taranto" (Tarantinische Klanglandschaften) besteht aus einer Auswahl von Field Recordings,
welche von ihm in akribischer Arbeit während der Künstlerresidenz aufgenommen, analysiert und dann ausgewählt wurden.
Als renommierter Klangjournalist in gefährlichen Orten bietet sich Cusack in Taranto umfangreiches Material,
aus welchem er eine Klanglandschaft ausbreitet, welche sowohl industrielle Klänge als auch Aufnahmen aus der Mitte
der Tarantinischen Gesellschaft beinhaltet. Diese anthropologisierende Klanginstallation wird ergänzt durch Fotografien aus Taranto.
Viele der Tonaufnahmen aus Taranto können auf einer satelitenbasierten Karte angehört und nachverfolgt werden.
1) ILVA Tag, ILVA Nacht
ILVA, Taranto ist europaweit das größte Stahlwerk.
Diese Aufnahme wurde nachts gemacht wenn der Lärm immerfort dröhnt.
Je nach Windrichtung kann man ihn in bis zu sieben Kilometer Entfernung hören.
2) Mar Piccolo: Unterwasser Knacken und Knistern
Klänge, aufgenommen mit einem Unterwassermikrophon in Tarantos Fischerhafen am Mar Piccolo. Meeresgetier, insbesonders Muscheln in ihrem Habitat.
Das Mar Piccolo ist durch die Marinewerft und das ILVA Stahlwerk so verschmutzt dass die dort angebauten Muscheln und Meeresfrüchte als, für den Menschen ungenießbar eingestuft wurden.
3) Wie spät ist es?
Konversation mit einem Taucher. Mar Piccolo ist nicht sehr tief und die Fischer fangen die Fische mit der Hand.
Es sind beeindruckende Fähigkeiten, bizarr anzusehen. Die Männer stehen oder liegen bewegungslos zur Hälfte im Wasser
und warten auf vorbeischwimmende Fische, welche im transparenten Wasser leicht zu sehen sind.
4) Hund und Absenkung
Tamburi, der Stadtteil Tarantos der sich in unmittelbarer Nachbarschaft zur Industrie befindet
leidet am meisten unter der Verschmutzung. Ein Sportplatz ist aufgrund von Sickerwasser aus
unterirdischen Röhren welche Wasser vom Mar Piccolo zur Stahlindustrie transportieren, eingestürzt.
Der Hund lebt in der Wohnung gegenüber und verbellt jeden, der vorbeikommt, vor Allem Fremde. Die Nachbarn versuchen ihn zu beruhigen - vergebens.
5) Grillen, Schüsse, Echo,
Taranto Neustadt. Eine milde Nacht und Teenager spielen mit lauten Schüssen, welche von den umgebenden hohen Gebäuden zurückgeworfen werden.
Die singenden Grillen sind nicht beeindruckt.
6) Città Vecchia Kontraste
Von einer Straße zur Nächsten ändert sich die Altstadt (Città Vecchia) drastisch. Manche Teile sind voller Leben, voller Geschrei, Kinder und Musik.
Andere Teiel liegen brach, sind verlassen und stürzen ein.
Aber selbst hier kann der Lärm des Straßenlebens noch gehört werden. Hoffentlich wird dieser Lärm in Zukunft wieder überall zurückkehren.
ALESSANDRA ERAMO: Se Dio Vuole
Klanginstallation, Objekte
"Ofeleia"
"Se Dio Vuole"
"5:30 morgens" und
"ILVA Drone und Möwen am Kai von Mar Piccolo"
Alessandra Eramos Klanginstallation "Se Dio Vuole" (So Gott will) ist dem Mar Piccolo, seinen Bewohnern und den Fischern,
die dort arbeiten gewidmet und kreist um das Bedürfnis der Künstlerin sich diesem Ort von unvergleichbarer Schönheit wieder anzunähern.
Diesem zentralen Ort in Taranto, welcher durch giftige Abwässer der Stahlindustrie und der Marine seiner uralten Tradition und Bestimmung - die Muschelzucht - beraubt wurde.
Für diese Arbeit konzentriert sich die Künstlerin auf, am Mar Piccolo gefundene Objekte und Klänge und auf die Musikalität des
tarantinischen Dialektes und setzt sich dabei mit ihrer eigenen Beziehung zu ihrem Geburtsort auseinander.
Als visuelles Element verwendet Alessandra Eramo ein, in der Region historisch bedeutsames archaisch rauhes Material:
A'Zoc', die seit mehr als 2000 Jahren bei der Muschelzucht eingesetzten Seilen aus der Sparto Faser.
Dieses Objekt, in der gesamten ionischen Region von großer kulturgeschichtlicher Bedeutung wird in eine Klangskulptur verwandelt:
In einem Gewirr aus Seilen befinden sich vier schwarze Lautsprecher, aus welchen eine Vokalkomposition, basierend einerseits auf
den gutturalen Lauten des tarantinischen Dialekts und andererseits auf altgriechischen Worten, deren Erbe noch heute im Dialekt präsent ist, dringt.
Trotz der mannigfaltigen Versuche von Philologen bleibt der Klang des Altgriechischen unbekannt.
Daher versucht Alessandra Eramo Worten von Schmerz und Hoffnung eine "Stimme zu geben":
biaia: Gewalt, Gewalttätigkeiten
taras, tarantos: Taranto, aus Taranto
tarantinos: Tarantiner
ofeleia: Hilfe, Unterstützung
ota, ous: Ohr, Ohren
kataftora, katafteiro: Ruin, Ausfall, Zerstörung, Gemetzel, Tod
kataugazo: Erleuchtung, Glanz
eleferamenos: Grausamkeit, Beschädigung, Verwüstung
elpis, elpidos: Hoffnung, der Hoffnung
Zwei weitere Lautsprecher in den Ecken des Raumes bespielen die Installation mit einem melodiösen Gesang Eramos,
inspiriert von der Musik der Osterprozession, welche gewöhnlich von La Banda (Blaskapelle) gespielt wird,
sowie mit einer originalen Feldaufnahme vom Pier des Mar Piccolo, welche den dramatischen Kontrast zwischen ohrenbetäubendem Industrielärm und dem Gesang der Möwen hörbar macht.
Im angrenzenden Raum liegt auf einem Sockel ein Gedicht, welches von Eramo während der Künstlerresidenz im Oktober 2013 geschrieben wurde
und welches der Altstadtinsel von Taranto gewidmet ist. Auf dem anderen Sockel liegen kleine bescheidene Schätze - genauer - am Mar Piccolo gefundene Objekte,
wie eine noch verschlossene Überraschungstüte, gekauft für einen Euro auf dem Fest zu Ehren der Heiligen SS. Cosma e Damiano, eine Euromünze und eine Muschelschale.
Am Fuße des Sockels bilden 300 verstreut und angehäuft liegende Originalzeichnungen der Künstlerin auf Papierstreifen ein Meer der Zeichen:
Gestische und grafische Übersetzungen der tarantinischen Phoneme, Partituren des Klangs der Muttersprache der Künstlerin.
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GEORG KLEIN: Le Due Forze di Taranto
Fotografien, Klanginstallation
"Le Due Forze di Taranto"
"Le Due Forze di Taranto" besteht aus drei Teilen, die die Spannungen der Stadt in Süditalien
in einer ortsspezifischen Installation auf zwei Ebenen zur Sprache bringen.
Die Stadt ist eingekeilt zwischen zwei Mächten - dem Industriekomplex auf der einen
Seite (Stahl- und Petroindustrie) und der Marine auf der anderen Seite (NATO-Militärhafen) -
die beide seit Jahrzehnten die Luft,
den Boden und das Wasser erheblich verschmutzen und den Lebensraum der Bewohner physisch
einschränken. Seit einiger Zeit erhebt sich dagegen lautstarker Widerstand,
der sich unabhängig von Parteien und Gewerkschaften artikuliert,
jedoch in dem Dilemma steckt, zugleich gegen die Hauptarbeitgeber der Stadt zu protestieren.
Die Installation verdichtet diese politische Konstellation in ästhetischer
Weise an einer Fußgängerunterführung im Zentrum der Stadt:
An der Ponte Girevole - der Verbindung der Neustadt mit der Altstadt, zwischen dem Binnenmeer
Mar Piccolo und dem Mare Grande - wurden 2 doppelseitige Fotoplatten über 2 Treppenabgängen
angebracht. Sie repräsentieren die zwei herrschenden Mächte gegenüberstehend an der sichtbaren
Oberfläche, jeweils mit einem Vertreter der Industrie wie der Marine, die jedoch mit dem
Rücken zur Stadt stehen. Die Hinterseite der Fotoplatten zeigt je einen charakteristischen
Abschnitt der Mauern, in die diese Stadt gezwängt ist, vom Gelände der 'Marina Militare'
wie dem des Stahlwerks ILVA.
Unten in der Unterführung kommt eine dritte Kraft zur Sprache (mit eigenem Titel:
"Una Terza Forza di Taranto") - repräsentiert von einem Vertreter des unabhängigen
"Commitato". Im Gegensatz zu oben ist sowohl sein Gesicht zu sehen als auch seine
Stimme zu hören, bleibt jedoch im Untergrund verborgen.
Aus einem Interview mit ihm zu seiner persönlichen Geschichte als gebürtiger Tarantiner,
als Arbeiter im Stahlwerk und als im politischen Kampf Engagierter wurde eine
Sprachklangcollage gebildet, in die die Zerrissenheit zwischen Arbeit und Gesundheit,
Umweltschutz und Broterwerb eingegangen ist, unterbrochen von charakteristischen Klängen
(acoustic icons), die in Fieldrecording-Aufnahmen vor Ort gemacht wurden.
Auf der Rückseite dieser Fotoplatte (bzw. gegenüber) ist eine der vielen zugemauerten
Türen der Altstadt abgebildet - ein weiterer Typ Mauer, der in der Stadt beherrschend
ist, zumindest in der näher zum Stahlwerk gelegenen Altstadt (Taranto Vecchia),
wo die Häuser immer mehr verlassen, Fenster und Türen zugemauert werden.
So bilden 3 Personen wie 3 Mauern das Konzentrat der Situation der Stadt -
eine konfrontative Gegenüberstellung an einem verkehrsreichen Ort, der dem
Konflikt eine neue Präsenz verleiht und die Stimme des Protests wie der Veränderung wachhält.
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STEFFI WEISMANN: Sbuffa!
Audiovisuelle Installation
"Sbuffa!"
"Sbuffa!" ist eine interaktive Videoinstallation für einen leerstehenden Pavillon auf der Piazza Garibaldi,
der früher einmal als Touristeninformation diente. Die Installation ist aus verschiedenen Perspektiven schon vom weitem
zu sehen und zu hören. Die näher kommenden Passanten bemerken zuerst nur abstrakte Bewegungen
von Farbflächen sowie Geräusche und Stimmen, die offenbar in einem Bezug zur Stadt Taranto stehen.
Plötzlich wird über die Lautsprecher eine Aufforderung an die umstehenden Personen gerichtet: Sbuffa! Das heisst: Puste mal!
Von einer Mitarbeiterin werden Strohhalme verteilt. Damit kann man vor dem zentralen Fenster in einen Schlauch pusten.
Die Atemluft wird in den Innenraum geführt und bewegt dort eine Papierserviette.
Eine Lichtschranke misst diese Bewegungen und gibt die Daten über einen Mikrocontroller an das Videoprogramm
weiter wo sich die Anzahl der Pixel augenblicklich erhöht.
Kurz gesagt passiert Folgendes: Sobald man pustet, ist der Film erkennbar. Wer einen langen Atem hat kann also Genaueres sehen.
Diese Spielregel erzeugt eine kommunikative Situation vor Ort.
Der Film, der immer wieder aufscheint und verschwindet, ist ein 15-minütiges audiovisuelles Portrait von Taranto
aus der Sicht einer Berliner Künstlerin. Ihre Aufnahmen zeigen eine Stadt, die zwischen Aufbruchsstimmung und Depression hin- und her taumelt.
Es ist eine Stadt, die erstaunliche Attraktionen zu bieten hätte, aber viele Chancen verspielt hat. Und die Leute haben hier alle etwas dazu zu sagen.
Unter Mitarbeit von Marco Sgura, Federica Petruzzi, Amalia Franco, Carla Boccardi, Marco del Vecchio, Angelo Cannata